Montag, 5. Feb. 2024

Interview - Simon Schmid, Innovator Profolio - 5 Februar 2024 - BBFZUF

Interview mit Simon Schmid – 5. Februar 2024

Euer Herzblut steckt in Profolio, mit dem das Ziel verfolgt wird, Jugendliche dem Weg zu ihrem Traumjob zu begleiten. «I my Job» ist euer Motto, um Wissen, Können und Leistung mit voller Begeisterung umsetzen zu können. Warum ist dies gerade für Jugendliche so wichtig und könnt ihr Eure Begeisterung vermitteln?

Mit dem Abschluss der Oberstufe, verlassen die Jugendlichen einen bis dahin vorgefertigten und vorgegebenen Bildungsweg. Ob sie wollen oder nicht, sie dürfen (und müssen) zum ersten Mal entscheiden, in welche Richtung sie ihre (berufliche) Laufbahn weitergehen möchten. Genau in dieser Entscheidung begleiten wir die Jugendlichen, ihre Eltern und die Lehrpersonen mit Profolio. In motivierenden «Challenges» gehen die Jugendlichen den zentralen Fragen «Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?» nach und entdecken sich selbst, die eigenen Stärken, Schwächen, Werte und Bedürfnisse.

Die erste Berufs- und Schulwahl ist auch Persönlichkeitsentwicklung und ein elementarer Bestandteil der Pubertät. Dieser Prozess wird stark von den Peers und Eltern beeinflusst. Gerade darum ist es so wichtig, dass die Jugendlichen sich mit sich selbst auseinandersetzen, sich selbst kennenlernen und ihrer inneren Stimme folgen können.

Du agierst als Innovator von Profolio/Ihr seid die Entwickler von Profolio, dem ersten digitalen Berufswahl-Lernmedium der Schweiz. Was hat sich über die Zeit verändert und könnt Ihr heute Talente und Interessen in deinem Beruf besser oder anders vereinen?

Das S&B Institut für Berufs- und Lerngestaltung zählt zu den Pionieren der innovativen Berufsberatung. Bereits vor über 40 Jahren, entwickelte mein Vater den ersten Fragebogen «Wo stehst du?» für Jugendliche, da diese oft lange auf einen Beratungstermin warten mussten. Daraus entstanden später der «Wegweiser zur Berufswahl», das «Berufswahl-Portfolio» und das «Laufbahn-Portfolio für Mittelschüler:innen», welche heute zu den Standardlehrmitteln für Berufliche Orientierung in der Oberstufe und im Gymnasium zählen.

Mein Traumberuf als Zweijähriger war «Erfinder». Nach einer Lehre als Audio-Video-Elektroniker und abgebrochenem Elektrotechnikstudium folgte ich meiner kreativen und künstlerischen Ader und studierte Film. Vor rund zehn Jahren stieg ich dann mit meiner Frau ins Familienunternehmen ein, absolvierte die Weiterbildung zum Berufs-, Studien- und Laufbahnberater und begleitete mit meinem Team Jugendliche und Erwachsene von der ersten Berufswahl über Neu- und Umorientierung bis zur Pensionierung.

Mit der Entwicklung von Profolio bin ich nun bei meinem Traumberuf «Erfinder» angekommen und kann meine Interessen, Werte und Fähigkeiten vereinen. Zusammen mit meinem Team und unserer Community gestalten wir den Berufswahlunterricht der Zukunft schon heute.

Begleitende Erwachsene haben die Aufgaben, die Jugendlichen zu unterstützen, ermutigen und an ihre Träume zu glauben. Wie wichtig sind Eurer Meinung nach Begleitung und Leadership oder lässt sich dies bei den Jugendlichen nur sporadisch vereinbaren?

Die Eltern und Erziehungsberechtigten spielen eine zentrale Rolle in der ersten Berufs- und Schulwahl. Denn in der Familie kommen die Kinder das erste Mal mit der Berufswelt in Kontakt. Was arbeiten meine Mutter, mein Vater oder mir nahestehende Personen? Wieso machen sie das und was gefällt ihnen daran oder nicht. Erfüllt sie ihr Job oder ist er nur Mittel zum Zweck?

Daher beziehen wir die Familie von Anfang an in den Berufswahlprozess mit ein. Wir erinnern uns an die drei zentralen Fragen «Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?». Nun kommt noch eine vierte hinzu, welche meist von den Eltern abhängt: «Was darf ich?». Nicht zuletzt entscheiden die Eltern mit der Unterzeichnung des Lehrvertrages über die Zukunft und die Akzeptanz der Berufswahl des eigenen Kindes. In den «Familien-Challenges» werden die Eltern und Erziehungsberechtigten in über zwölf Sprachen in den Berufswahlprozess eingeführt und werden dadurch befähigt, das eigene Kind auf dieser faszinierenden Reise besser begleiten zu können.

Am Samstag (20.1.2024) fand der Profolio Begleitgruppenworkshop 2024 in Zürich-Oerlikon statt. Was waren die herausragenden Ergebnisse und Erkenntnisse des Workshops?

Profolio wird mit unserer Begleitgruppe weiterentwickelt. In den Begleitgruppenworkshops trifft sich die Community. Wir stellen neue Features vor, fühlen den Puls bei den Nutzenden und nehmen neue Ideen auf. Zudem wählen wir als Durchführungsort jeweils einen inspirierenden Gastgeber, sei dies die Yogafabrik, der Flughafen Zürich oder wie kürzlich die Jakobs School, um die Gedanken und den Austausch anzuregen. Da die teilnehmenden Lehrpersonen, Berufswahlcoaches, Eltern, Jugendlichen und weiteren Berufswahlbegleitenden aus der ganzen Schweiz anreisen und die verschiedensten Berufswahlkonzepte mit sich bringen, wird die Vernetzung und der gegenseitige Austausch sehr geschätzt.

Dieses Jahr standen die Themen einfache Sprache, Bewerbungs-Tool und individuelle Persönlichkeitsentwicklung auf dem Programm. Erstmals wurde auch die neue Online-Standortbestimmung für Erwachsene vorgestellt. Besonders gefreut hat mich auch der Besuch von Alessio. Er war Schüler unserer ersten Pilot-Klasse und berichtete aus seinem Alltag als Lernender Informatiker im ersten Lehrjahr, was sich seit dem Übertritt in seinem Leben verändert hat, was er sich mit seinem ersten Lehrlingslohn gekauft hat und was er sich von einer modernen Sekundarschule wünscht. Abgerundet wurde der Tag mit einem exklusiven Blick hinter die Kulissen des Schweizer Radio und Fernsehens und einem feinen Raclette.

Eines eurer wichtigen Aussagen ist: «Wir müssen im Berufswahlprozess auf die Jugendlichen hören und nicht meinen, besser zu wissen, was für sie gut ist.» Könnt Ihr mir Key-Erlebnisse nennen, dass dies bei den Jugendlichen auch tatsächlich gut ankommt.

Jugendliche kennen sich selbst besser als wir meinen. Sie werden häufig von den Erwachsenen bevormundet, unterschätzt, zu wenig ernst genommen oder nicht richtig angehört. Wir erfahren das täglich in unseren Beratungen, wenn wir ihnen aufzeigen, wie sie ihre Berufswahl angehen können. Wichtig ist, dass wir die Jugendlichen da abholen, wo sie gerade stehen, ihnen die Möglichkeit geben, sich mit ihren aktuellen Fragestellungen, Träumen, Wünschen und Werten auseinanderzusetzen. Und dass wir ihnen auch genügend Zeit einräumen und sie unterstützen, wenn es darum geht, sich selbst und die Berufswelt zu entdecken. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Vielfalt der Berufe, das Angebot an Informationen und Lehrstellenmarketing, welche die Jugendlichen überfordern können. Es geht hier darum ihnen methodische Wege aufzuzeigen, wie sie die Informationen schrittweise abrufen und verarbeiten können.

Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Begeisterung Jugendliche an sich selbst und mit der Berufswelt arbeiten, wenn man sie in ihrer Ausgangslage ernst nimmt und ihre Träume respektiert. Träume sind nämlich Motivatoren für jeden Menschen. Die Kunst der Berufsberatung, wie der Lehrpersonen und Eltern, ist dabei, die Jugendlichen entsprechend zu coachen, damit sie die Realisierbarkeit selber überprüfen können und allfällige Alternativen entdecken.

Ihr sprecht mit eurem Programm Schüler:innen an, die den Schritt von der Schule zur Berufswahl gehen. Insbesondere in den Realschulen gibt es eine ganze Reihe Schüler:innen mit Migrationshintergrund. Nehmt ihr dies Thema auch mit auf und wenn ja, in welchem Umfang?

Gerade bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist es wichtig, dass wir den kulturellen Hintergrund, die Herkunft, Kultur, Tradition und sprachliche Fertigkeit in unserem Lernmedium mitberücksichtigen. Mittels einer einfachen Sprache und vielfältigen Illustrationen gelingt uns diese Herausforderung recht gut. Auch geben wir den Eltern die Möglichkeit, ihre Jugendlichen mit «Familien-Challenges» entsprechend zu unterstützen. Unsere Erfahrung zeigt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund häufig ein sehr gutes Selbstwertgefühl haben und gewohnt sind selbstständig zu arbeiten. Wir haben mehrere gute Beispiele mit einer gelungenen Berufswahl von Jugendlichen mit erschwerten Startbedingungen. Wichtig ist, dass die Elternaufklärung über unser duales Bildungssystem gelingt. Entsprechend sind die zentralen Inhalte in Profolio abgebildet und in verschiedene Sprachen übersetzt.

Mit eurem ersten digitalen Berufswahl-Lernmedium der Schweiz geht ihr zeitgemäss auf die jungen Leute zu, für die digitale Medien einen sehr wichtigen Raum einnehmen. Was macht den Austausch mit eurer Community so speziell?

Es war schon immer unser Kredo bei der Entwicklung der Lernmedien alle Betroffenen miteinzubeziehen und sie an der Entwicklung teilhaben zu lassen. Dies zeigt sich auch in der Auswahl, Gestaltung und Weiterentwicklung von Profolio, welche durch unsere Begleitgruppenworkshops und den Austausch in der Community entstehen. Wie uns von den Jugendlichen, Lehrpersonen und Schulen berichtet wird, die schon mit dem Profolio arbeiten, macht diese Art der Auseinandersetzung Spass. Dies weil die Jugendlichen individuell am Thema arbeiten können, wann sie wollen, unabhängig von Ort und Zeit. Auch dass die diversen «Challenges» nach einem ersten Durchgang überarbeitet werden können betrachten viele Jugendliche als Vorteil.

Von den Lehrpersonen hören wir, dass die Jugendlichen es schätzen, wenn sie mit der Begleitlupe bei Bedarf Hilfe von ihnen einholen können. Sie bestätigen auch dass Profolio das selbstorganisierte Lernen und somit die Selbstverantwortung der Jugendlichen fördert. Die Schüler:innen begrüssen natürlich, dass sie endlich einen Ordner weniger herumschleppen müssen und die Lehrpersonen stellen fest, dass die Jugendlichen individueller arbeiten und motivierter schreiben als von Hand.

Ihr habt nun bereits den siebten Profolio Community Workshop durchgeführt und tolle Gespräche mit Jugendlichen gehabt. Kannst du uns etwas über die Community sagen und wird der Kreis grösser und intensiver?

Die Profolio-Community setzt sich zusammen aus Oberstufen-Schüler:innen, Eltern, Lehrpersonen, Berufswahlcoaches, Berufsberatenden, Personen aus der Berufsbildung und von Hochschulen sowie weiteren Berufswahlbegleitenden. Wir schauen darauf, dass Jugendliche mit möglichst vielfältiger Erfahrung mit dem Thema Berufswahl teilnehmen können. Denn schliesslich stehen sie im Zentrum. Das gleiche gilt auch für Schulen und Lehrpersonen, die unterschiedlichste Berufswahlkonzepte leben. Wir haben in unserer Community Volksschulen, Gesamtschulen, Privatschulen, Brückenangebote, Schulen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Berufsberatungen aus diversen Kantonen vertreten. Das gleiche gilt für die Eltern, die Lehrpersonen, Bildungsverantwortlichen oder Vertretenden von Hochschulen oder verwandten Institutionen aus der Arbeitsintegration.

Es gibt einen Kern von rund 30 Personen, die praktisch bei jedem Begleitgruppenworkshop dabei sind und weitere 30 bis 40 Personen, welche situativ teilnehmen oder neu hinzukommen. Die Mitarbeit und der Austausch sind freiwillig und für uns ein Gradmesser, in welche Richtung wir Fortfahren. Über unseren Newsletter, eine LinkedIn-Gruppe und das Online-Forum informieren wir die Begleitgruppe, welche Themen aktuell im Zentrum stehen.

Ihr arbeitet eng mit der Berufsbildungsforum Zürcher Unterland – Flughafen zusammen, sowie auch mit weiteren Angeboten des Berufsbildungsforum. Wie wichtig ist euch die Zusammenarbeit und unsere Präsenz bei euren Workshops und euren Initiativen?

Als Gründungsmitglied des Berufsbildungsforums Zürcher Unterland – Flughafen setzen wir uns vom S&B Institut für Berufs- und Lebensgestaltung seit jeher ein, den Jugendlichen einen gelungenen Einstieg in die Berufswelt zu ermöglichen. Hier ergänzen und unterstützen sich die Partner des Forums gegenseitig. Dieses hat wunderbare Angebote wie Lift, Rent-a-Stift, Schnuppy, Fit4Jobs und das BIZ. Profolio bietet als Lehrmittel im Berufswahlunterricht während der Oberstufe einen roten Faden, der die Jugendlichen individuell da abholt, wo sie stehen und bis zum Übertritt in den Lehrberuf oder an eine weiterführende Schule begleitet.

Somit ergänzt Profolio ideal die praktischen Angebote der Partner bei der Persönlichkeitsentwicklung, der Reflektion und der Umsetzung in diesem faszinierenden Prozess. Bei der Entwicklung und Etablierung eines neuen Lernmediums ist der Austausch mit eben solchen Praxisangeboten, Schulleiterverbänden, Berufsverbänden, Lehrpersonenorganisationen, Elternorganisationen und Berufsberatung sehr wichtig. Das Berufsbildungsforum vereint genau diese Berufswahlbegleitenden in der Region. Darum schätzen wir es sehr, wenn Mitglieder des Berufsbildungsforum an unseren Anlässen partizipieren und gemeinsam mit uns den Berufswahlunterricht der Zukunft gestalten. Damit auch unsere Jugendlichen bald sagen können «I ♥my Job».

Ich danke für das Interview und freue mich auf weitere Zusammenarbeit in der Gemeinschaft.

Interview: Petra Wildemann, BBFZUF, Kommunikation

Bild: Simon Schmid im Gespräch mit Urs Müller, Präsident BBFZUF und Alessio, Profolio-Schüler der ersten Stunde und heute Informatiker im 1. Lehrjahr

Foto: Luc Fonjalla

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